Noch besser und klarer als in einem Gespräch lässt sich der Zustand, in dem sich so jemand befindet, während einer "synergetischen Innenweltreise" aufzeigen. Hier wird die innere Wirklichkeit eines Menschen deutlich, denn das Unterbewusstsein ist unbestechlich und zeigt klar, dass alles bisherige Vergeben und Verzeihen nicht zu einer dauerhaften Verbesserung geführt hat, das Gegenteil ist oft der Fall.
Die alten Missetäter sind nämlich immer noch da, sie „arbeiten weiter“, als Prägung im Unterbewusstsein bestimmen sie meist unbemerkt unser Leben. Die viel gepriesene „Kraft der Vergebung“, oft verbunden mit leuchtenden Imaginationen des Loslassens, hat letztlich nur dabei geholfen, das Verdrängte noch tiefer ins Unterbewusstsein zu vergraben.
Eine häufig vermittelte Sichtweise beim Vergeben ist auch die, das Geschehene anzunehmen, da ja „nichts Falsches“ geschehen ist. Es gibt daher auch nichts zu ändern, denn alles hat seinen tiefen Sinn, den es zu achten gilt. Es wird also nicht nachgeschaut oder überprüft, was dazu geführt hat, dass eine Person so wurde wie sie ist, möglicherweise schwer depressiv oder auch körperlich krank. Statt dessen soll ihre Sicht dahingehend verändert werden, dass sie „die Vollkommenheit einer Situation“ akzeptiert, also einer Situation, wie z.B. Gewalt oder Missbrauch im Kindesalter, oder das Erleben von zur Liebe unfähigen Eltern oder Elternteilen. Hier liegen die Ursachen für ihren heutigen Zustand.
Auf diese Weise beeinträchtigen oder verhindern Vergebungen die zutiefst natürliche und gesunde Fähigkeit des Menschen, seine aufgestauten Emotionen freizusetzen - das macht die Vergebung geradezu gefährlich. So wird es einem Betroffenen kaum noch möglich sein, seine Wut, seinen Hass auf einen misshandelnden Elternteil auch nur zuzugeben - weil er ihm ja bereits verziehen hat. Tut er es dennoch, muss er wiederum zugeben, nicht verziehen zu haben. Er befindet sich also in einer seelischen Zwickmühle.
Wenn es ein Ereignis wie Gewalt, Misshandlung oder auch "nur" des Mangels an Zuwendung oder Liebe gibt, dann gibt es immer auch jemanden, der dafür die Verantwortung trägt. Und jede Verantwortung muss sich klar und deutlich zuweisen lassen. Das geht entweder nach außen, also in Richtung derer, die verletzt und misshandelt haben, oder aber nach innen, zum Betroffenen selbst.
Die Sichtweise vieler Vergebungsrituale ist z.B. „Wenn wir aufhören, anderen Menschen die Verantwortung zu geben, verlassen wir unsere Opferrolle und finden zu unserer eigenen Verantwortung.“ So kann jemand in vermeintlicher Güte zwar einem verletzenden Elternteil vergeben, die abgespeicherten Gefühle aber, wie Wut oder Ablehnung, werden sich ein anderes Ziel suchen und richten sich nun ganz unbemerkt im Unterbewusstsein mehr und mehr gegen den Betroffenen selbst. Die Folgen daraus reichen von Selbstablehnung bis hin zur Selbstvernichtung über Krankheit oder Suizid oder sie werden an die nächste Generation weitergegeben.